HT 2023: „Panem et Circenses“. Game-based learning und Antike

HT 2023: „Panem et Circenses“. Game-based learning und Antike

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) (Universität Leipzig)
Ausrichter
Universität Leipzig
PLZ
04107
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.09.2023 - 22.09.2023
Von
Oliver Bräckel, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Der immer weiter wachsende Markt der Computerspiele verdeutlicht den hohen Stellenwert, den diese mittlerweile in der Gesellschaft einnehmen. Die Verwendung historischer Themenbereiche in diesen Spielen weckt auch das Interesse der Fachwissenschaft an dieser Form von Rezeption. Spiele mit einem historischen Kontext erleichtern in einem nicht-wissenschaftlichen Kontext den Zugang zu historischen Themen, wobei die Qualität der Informationen sehr unterschiedlich ausfallen kann. Insbesondere in der Wissensvermittlung an Schulen und Universitäten bieten sich dabei Chancen, neue Wege zu beschreiten. Digitale Spielwelten versprechen eine interaktive Teilhabe, sodass der/die Nutzer:in in einem begrenzten, vorgegebenen Rahmen aktiv mitwirken und historische Inhalte erleben kann. Welche Möglichkeiten, aber auch Fragen sich dabei für die Forschung und Lehre ergeben, stand im Mittelpunkt dieser Schülersektion. Es galt kritisch zu hinterfragen, inwiefern das Medium Computerspiel hier neue Wege aufzeigen kann, Wissen zu vermitteln.

In ihrer Einführung betonte MICHAELA RÜCKER (Leipzig), dass ein Spielerlebnis Wissen vermitteln kann, dieser Aspekt allerdings nicht im Mittelpunkt steht, denn: „Ein Spiel muss Spaß machen!“ Daher war es eine zentrale Frage dieser Sektion, in welchem Verhältnis die Faktoren Spaß/Unterhaltung und Wissensvermittlung zueinanderstehen. Gibt es überhaupt einen Lerneffekt oder überwiegt am Ende der Unterhaltungsfaktor? Damit verbunden ist die Frage, wie wichtig die korrekte Umsetzung historischer Fakten im Spiel ist. Mit Blick auf die Lehre muss zudem rein praktisch gefragt werden, wie Computerspiele gewinnbringend in diese eingebunden werden können.

Im ersten Vortrag führte ROXANA KATH (Leipzig) in den Prozess der Spieleentwicklung ein, um auch die Perspektive des Entwicklers in den Blick zu nehmen. Dieser verfolgt bei der Entwicklung eines Spiels klare Vorstellungen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass jedes Element in einem Spiel auf einer bewussten Entscheidung beruht. Schnell wird klar, dass, sehr zum Missfallen des/der Wissenschaftler:in, sehr oft bewusst von (historischen) Fakten abgewichen wird, da diese eben nicht im Fokus stehen, sondern das Spielerlebnis selbst. Der Prozess, der zu solchen Entscheidungen führt, ist dabei nur wenig transparent. Trotzdem wirbt Roxana Kath für mehr Nachsicht mit den Spieleentwickler:innen. Deren Zielgruppe ist eben nicht die Fachwelt, sondern man versucht ganz verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Auch liegt der Entwicklung eines Spieles ein langer Prozess zu Grunde, in den zahlreiche Aspekte mit einfließen und der für den Außenstehenden in der Regel kaum sichtbar ist. Game Designer orientieren sich durchaus an historischen Settings und Fakten, doch können sich im kreativen Designprozess Veränderungen an diesen ergeben, die anfangs nicht geplant waren. Solche Entscheidungen werden bewusst getroffen, wobei als Grundlage eben nicht die Fachwissenschaft dient, sondern das Gameplay bzw. der Spielspaß der Zielgruppe, Zeit- und Budgetfragen, lizenzrechtliche Probleme und Marketingentscheidungen. Umso wichtiger ist es für die Fachcommunity, ein Verständnis für diesen Prozess zu erlangen, wenn man sich mit den Einsatzmöglichkeiten digitaler Spiele in Forschung und Lehre beschäftigt.

Letzteres wird im zweiten Vortrag von MONICA BERTI (Leipzig) am konkreten Beispiel der Spiele Assassin's Creed Origins und Odyssey weiter vertieft. Beide Spiele sind in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen entwickelt worden und in der klassischen und hellenistischen Zeit angesiedelt. Zahlreiche Akteure und Ereignisse aus dem alten Griechenland und Ägypten werden thematisiert und die zentrale Frage ist, ob diese auch geeignet sind, im universitären oder schulischen Unterricht zum Einsatz zu kommen. Tatsächlich ist zu beobachten, dass auch von Seiten des Publishers Ubisoft die Intention vorlag, den Bildungssektor mit seinen Spielen anzusprechen. Zum einen spricht dafür die Zusammenarbeit mit mehreren internen wie externen akademischen Berater:innen, die auch Einfluss auf die Inhalte des Spiels hatten. Zum anderen wurde zusätzlich zum eigentlichen Spiel mit der sogenannten Discovery Tour ein Spielmodus implementiert, in dem die Nutzer:innen ausgewählte antike Stätten besuchen und die von Expert:innen zusammengestellten Geschichten erleben können. Monica Berti demonstrierte dies exemplarisch an zwei Beispielen – der Agora in Athen (Odyssey) und der berühmten Bibliothek in Alexandria (Origins). Auch wenn die beiden Orte mit einer beachtlichen Anzahl an Details aufwarten können, fällt dem/der fachkundigen Betrachter:in doch schnell auf, dass eine derartige detaillierte Rekonstruktion eigentlich nicht möglich ist, da die archäologischen und literarischen Quellen keine derart detaillierten Informationen enthalten. Vieles, was unbekannt oder vage ist, wurde von den Entwickler:innen ergänzt, um ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen. Hier muss dem Fachpublikum der Umstand vor Augen geführt werden, dass es sich um ein Spiel handelt und nicht um eine Fachpublikation. Wenn man sich diesen Aspekt vor Augen hält, ist das Bemühen in den beiden Spielen, die Antike zu reproduzieren, sehr bemerkenswert. Umso wichtiger erscheint es, ein Verständnis dafür zu schaffen, wie die Informationen zustande kommen, welche die Grundlage des Spiels bilden.

Im kritischen Umgang mit den durch Computerspiele erzeugten „fragilen Fakten“ sieht Monica Berti Potential für die Verwendung in der Lehre: Diese Spiele fördern die Neugierde auf die antike Welt und helfen dem/den Forscher:innen bei der Interaktion mit dem Publikum, in dem sie sich bei der Entwicklung solcher Spiele beteiligen. Die Forschung sollte nach Monica Berti ein besseres Verständnis für die rasanten Innovationen in digitalen Technologien entwickeln, um deren Auswirkungen auf unsere Disziplinen zu verstehen. Aber die Forschung muss sich auch der Fragilität dieser Spiele bewusst sein, was die Fragilität der Geschichte widerspiegelt. Es könnte viele verschiedene Versionen dieser Spiele geben, denn die Rekonstruktion der antiken Welt ist immer schwierig, mehrdeutig und nicht endgültig.

Diesen theoretischen Überlegungen zum Einsatz von digitalen Spielen in der Lehre folgte eine praktische Einordnung von AARON I. GEBLER (Leipzig/Freiburg). Dieser berichtete von seinen persönlichen Erfahrungen aus einem Seminar des Sommersemesters 2023, welches sich mit dem von Monica Berti vorgestellten Spiel Assassin’s Creed Odyssey beschäftigte. Die Lehrveranstaltung sollte methodische Kompetenzen sowie Grundlagenwissen zu Athen im 5. Jahrhundert v. Chr. vermitteln, um sich anschließend kritisch mit der Darstellung von Geschichte in Videospielen am konkreten Beispiel auseinanderzusetzen. Das Konzept war eingebettet in eine klassisch altertumswissenschaftliche Ausbildung. Im Zentrum des Interesses stand dabei weniger das Spiel selbst, sondern die schon von Monica Berti angesprochene Discovery Tour, also dem Spielelement, das von Ubisoft explizit zur Wissensvermittlung entwickelt wurde. Das Potential des Spiels für die universitäre Lehre erstreckte sich dabei auf verschiedene Ebenen: Da viele Studierende mit dem Medium Computerspiel vertraut sind, wird ihnen der Zugang zur Thematik sehr erleichtert, was auch zu mehr Interesse und Motivation führt, sich damit auseinanderzusetzen. Ein weiteres Potenzial liegt in den interdisziplinären Zugängen, die Ausgangspunkte für vernetztes Denken bieten. Herr Gebler verweist hier vor allem auf die Schnittstellen zwischen Geschichte und Archäologie. Im Spiel wird immer wieder Bezug auf archäologische Befunde genommen, die dann mit den Schriftquellen verbunden werden. Auch Gegenwartsbezüge werden hergestellt, wenn zum Beispiel die Frage diskutiert wird, in welchem Maße die attische Demokratie moderne Demokratien geprägt hat.

Allerdings wurden im Kurs auch die Grenzen deutlich, die das Spiel in Bezug auf die Lehre hat. Der Referent vertrat die Ansicht, dass es nur sehr begrenzt zur reinen Wissensvermittlung eingesetzt werden kann, was hauptsächlich an der ungenauen Wiedergabe der Quellen liegt. Auch die fehlende Transparenz in Bezug auf die Herkunft der Quellen ist problematisch. Die Auseinandersetzung mit dem Spiel ersetzt also keine klassische Ausbildung mit dem Handwerkszeug der Alten Geschichte. Es sollte daher nicht Gegenstand eines gesamten Seminarkonzepts sein, sondern eigne sich sehr gut als Ausgangspunkt für eine kritische Betrachtung der Quellenlage. Studierende werden angeregt, eigenständig zu forschen und über das Spiel für einen kritischen Quellenumgang sensibilisiert. Nicht der Ablauf von Geschichte selbst, sondern die spätere Rezeption von Ereignissen lassen sich also durch eine Auseinandersetzung mit dem Spiel diskutieren, wobei ein Grundverständnis historischer Prozesse und des historischen Handwerkszeugs eine notwendige Voraussetzung bleibt.

Neben dem Einsatz von Computerspielen in der universitären Lehre stand im letzten Vortrag deren Verwendung im schulischen Kontext im Vordergrund. NADJA BRAUN (Leipzig), stellvertretende Schulleiterin und Lehrerin am F.-A.-Brockhaus Gymnasium in Leipzig, stellte ihre Erfahrungen vor, die sie und die Klasse 7a im Rahmen eines Praxistests mit Assassin’s Creed Odyssey gemacht haben. Im direkten Austausch mit Wissenschaftler:innen der Universität Leipzig (Michaela Rücker und Roxana Kath) wurden die Schüler:innen mit dem Spiel und der schon angesprochenen Discovery Tour vertraut gemacht. Das erste Problem ergab sich, noch bevor an einen geregelten Unterricht zu denken war: Es fehlte an der entsprechenden Technik, sowie leistungsfähigem Internet, ein Problem, was leider immer noch zum Alltag an deutschen Bildungseinrichtungen zählt. Da auch nur ein Controller zur Verfügung stand, konnte immer nur ein:e Schüler:in das Spiel ausprobieren, was natürlich zu Lasten einer aktiven Teilnahme der ganzen Klasse ging. Diese war durchaus motiviert, sich im Spiel auszuprobieren, was den Eindruck von Aaron I. Gebler noch einmal bestätigt, dass gerade in der jüngeren Generation durch den vermehrten Umgang mit digitalen Medien ein ganz anderer Zugang zu diesen besteht, den man sich im Unterricht zu Nutze machen kann. Auch wenn die Erfahrungen der Schüler:innen sehr unterschiedlich ausgefallen sind, war zu beobachten, dass besonders die „kleinen Dinge“, konkret die Darstellung des antiken Alltags, deren Interesse wecken konnten. Durch „spielerisches bzw. selbstgesteuertes Lernen“ konnte die antike Lebenswelt nahbar gemacht werden. Durch das Führen eines Spieltagebuchs wurden dabei unter anderem die narrativen Kompetenzen der Schüler gefördert. Eigenes Sachwissen wurde hingegen weniger erarbeitet.

Ein besonderes Highlight der Sektion bildeten am Ende mehrere Kurzvorträge von Schüler:innen, die ihre Sichtweise auf das Spiel darlegten. Neben den schon angesprochenen Problemen mit der Hardware hoben sie die Abwechslung zum normalen Unterrichtsalltag besonders positiv hervor. Der Umgang mit dem Spiel scheint eine echte Motivation bei den Schüler:innen ausgelöst zu haben, die sich besonders in dem Umstand widerspiegelt, dass ein Schüler der Klasse direkt damit begonnen hat, ein eigenes Spiel zu programmieren, von dem am Ende der Sektion eine Videosequenz zu sehen war.

In einer abschließenden Diskussion wurde deutlich, dass das Thema Computerspiele in der Lehre bzw. im Unterricht mittlerweile große Aufmerksamkeit genießt, was zahlreiche Wortbeiträge von Universitätsdozent:innen und Lehrer:innen belegen, die über ihre Erfahrungen berichteten. Auch wenn die Stärken von Computerspielen anerkannt wurden, wurde auch während der Diskussion auf die Schwächen hingewiesen, die diese insbesondere in der universitären Lehre hätten. Es wurde der Wunsch formuliert, dass bei zukünftigen Spielen die Faktenlage deutlich verbessert bzw. transparenter gemacht werden müsste, um diese in der Lehre einzusetzen. Zudem wurde deutlich, dass Spiele selbst eine Quelle darstellen, für die eine eigene Methodik entworfen werden muss. Insgesamt wurde in der Sektion deutlich, dass digitale Medien und insbesondere Computerspiele sowohl Chancen als auch Risiken für die Wissensvermittlung mit sich bringen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik von Seiten der Fachwissenschaft ist in vollem Gange und wird in den nächsten Jahren intensiv fortgesetzt werden. Die einzelnen Vorträge haben dabei eine Blaupause für diese Auseinandersetzung gebildet. Es ist nötig, sich nicht nur mit dem Spiel selbst, sondern auch mit dem Entwicklungsprozess dahinter auseinanderzusetzen. So ist bei allen berechtigten Kritikpunkten deutlich geworden, dass hier ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial für Forschung und Lehre liegt.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Michaela Rücker (Leipzig) / Roxana Kath (Leipzig) / Nadja Braun (Leipzig)

Michaela Rücker (Leipzig): Einführung

Roxana Kath (Leipzig): Game Design und Historizität

Monica Berti (Leipzig): Die Rezeption der Antike in Videospielen

Aaron I. Gebler (Leipzig/Freiburg): Assassin’s Creed Odyssey in der universitären Lehre

Nadja Braun (Leipzig) / Schüler:innen der Klasse 7a des Brockhaus Gymnasiums Leipzig: Videospiele im Schulunterricht

https://www.historikertag.de/Leipzig2023/
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